Dialogue Forum special at Munich University of Applied Sciences

Engagiert in München – Für soziale Gerechtigkeit in der reichen Stadt

Dialogforum spezial Hochschule München am 6. November 2019

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    Auch im wohlhabenden München haben viele Menschen soziale Probleme. Wie kann die Kommunalpolitik gegensteuern? Welche Handlungsspielräume haben soziale Unternehmen? Das Dialogforum spezial mit der Social Entrepreneurship Academy und dem Strascheg Center for Entrepreneurship an der Hochschule München suchte nach Antworten.

    Dass im reichen München längst nicht alles zum Besten steht, macht ein Blick in den offiziellen Armutsbericht der Stadt deutlich: Demnach leben mehr als 17 Prozent der Bevölkerung oder 269.000 Menschen in relativer Armut, weil sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. Im Jahr 2011 waren es erst 204.000 Menschen (14,7 Prozent). Diese Entwicklung gefährde auch den sozialen Frieden, gab Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy zu bedenken und forderte: „Wir müssen auch politisch diskutieren, wo rechtsgerichtete Gedanken im Kontext der Ungleichheit entstehen und wie wir dem begegnen können.“
    Münchens Kassen gut gefüllt
    Gleichzeitig ist sich die Leiterin von Münchens Sozialbehörde bewusst, dass sich die Armutsprobleme der Stadt nicht alleine auf kommunaler Ebene lösen lassen – auch wenn München angesichts üppiger Einnahmen aus der Gewerbesteuer relativ viel Geld ausgeben kann. „Wir können uns zwar viele Maßnahmen leisten, die in anderen Kommunen keine Selbstverständlichkeit sind. Aber wir können die Sozialleistungssätze nicht verändern. Die sind bundesweit einheitlich vorgegeben, egal ob man in München, Jena oder Duisburg wohnt.“

    Glücklicherweise gibt es in München eine Reihe lokaler Initiativen, Vereine oder sozialer Start-Ups, die auf unterschiedlichen Wegen ihre Hilfe anbieten. „Solche Organisationen können bei akuten sozialen Herausforderungen häufig wirkungsvoller agieren als große Sozialträger oder die öffentliche Hand“, ist Rüdiger Heid überzeugt. Er leitet seit 1997 die interkulturelle Straßenfußballliga „buntkicktgut“. Ziel der Liga ist es, jungen Menschen verschiedener kultureller und nationaler Herkunft eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu geben. „Das eröffnet  Möglichkeiten zu sozialem und kulturellem Lernen“, sagt er. Heid glaubt, je mehr die öffentliche Hand neben ihren Pflichtaufgaben in solche Initiativen und Organisationen investiert, umso größer ist die soziale Wirkung. „Kinder und Jugendliche werden besser ihren Platz und Respekt in der Gesellschaft finden, je mehr sie ihre sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Kompetenzen spielerisch und wertschätzend erlernen und erfahren.“

    Kochen gegen soziale Ausgrenzung
    Auch Jasmin Seipp setzt sich mit ihrem Café „Über den Tellerrand“ dafür ein, Migranten und Geflüchtete in München besser zu integrieren. Sie bereiten im Café internationale Speisen zu. Jeder Gast kann sich zwischen drei möglichen Preisen entscheiden und zahlt, was er geben kann. Begonnen hatte Seipp auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015 mit Kochevents, bei denen Münchner und Migranten gemeinsam landestypische Gerichte zubereiteten. „Solche Begegnungsformate tragen zum Miteinander in der Gesellschaft bei. Und sie wirken sozialer Ausgrenzung und Spaltung entgegen“, erläuterte die Geschäftsführerin des 2018 gegründeten Cafés, das von einem gemeinnützigen Verein getragen wird. „Soziale Start-Ups wie wir bieten innovative und pragmatische Ansätze, um der sozialen Ungleichheit im Alltag zu begegnen“, ist Seipp überzeugt. Weil München ein teures Pflaster ist, müssten viele Geflüchtete jeden sich bietenden Job annehmen. Das geht häufig zu Lasten einer weiteren beruflichen Qualifizierung. „Daraus folgt oft, dass diese Menschen kaum eine Chance haben, aus dem Niedriglohnsektor aufzusteigen.“

    Bei ihrer Arbeit kommen Seipp, die früher in der Finanzbranche gearbeitet hat, ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zugute. Denn ihr Sozialunternehmen wird nicht gefördert und muss sich selbst tragen. „Ich bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein, auch wenn ich heute weniger verdiene als direkt nach dem Studium.“ „Soziale Entrepreneure benötigen unternehmerische Kompetenzen“, unterstrich auch Heid. Denn sie müssen letztlich Gewinne erzielen, die dann allerdings nicht in den Taschen einzelner Personen landen, sondern reinvestiert werden, um einen möglichst großen sozialen Nutzen (Social Impact) zu erreichen.

    Komplizierte Regelungen erschweren das Leben
    Förderungen von sozialen Initiativen seien möglich, aber immer abhängig vom Einzelfall und häufig recht kompliziert, bedauerte Sozialreferentin Schiwy: „Der Bürokratieaufwand ist enorm. Es gibt jede Menge Anforderungen, die uns und den Geförderten das Leben schwer machen.“ Auf der einen Seite kann sie verstehen, dass genau geprüft wird, wohin die Mittel fließen, schließlich handelt es sich um Steuergelder. „Auf der anderen Seite schränkt das die Kreativität und die Möglichkeiten für unkomplizierte Förderwege ein.“ Dadurch falle es oft schwer, Unternehmertum zu fördern. „Wir tun uns wesentlich leichter, ein gemeinnütziges Projekt zu unterstützen, das gar kein Geld verdient, weil da bestimmte Prüfungen wegfallen.“ Generell bemängelt Schiwy die insgesamt kruden Regelungen in Deutschland. Etwa, dass junge Geflüchtete nicht arbeiten oder keine Deutschkurse belegen dürfen, bis sie anerkannt sind. Die mangelnden Sprachkenntnisse erschweren oft die gesellschaftliche Integration.
    Die rund 70 Teilnehmer, hauptsächlich Studierende der Hochschule München und LMU, diskutierten lebhaft untereinander, wo ihnen in München Armut begegnet und wie sie damit umgehen.

    Alten Menschen fällt es häufig schwer, Anträge auf Unterstützung zu stellen, etwa wenn die Rente nicht reicht. „Das geht wahnsinnig schnell in unserer Stadt bei einer Durchschnittsrente von 1.400 Euro und den hohen Mieten“, weiß Schiwy. Sie würde sich wünschen, dass mehr Betroffene Grundsicherung beantragen und so Hilfe erhalten. Doch viele würden die bürokratischen Hürden im Form von seitenlangen Anträgen scheuen. Ein anderer Punkt sei, dass viele Menschen, vor allem ältere, gar nicht wissen, welche Fördermöglichkeiten überhaupt bestehen. Es ist schwierig, an diese Menschen heranzukommen und ihnen ihre Schwellenängste zu nehmen. Deshalb versucht die Stadt, über Streetworker mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen. „Wir haben mit einem Budget von jährlich 1,8 Milliarden Euro einen enormen Handlungsspielraum und wollen dieses Geld auch sinnvoll einsetzen.“

    Soziales Engagement zahlt sich aus
    Dass Geld alleine nicht genügt, ist Schiwy klar. „Wir können als öffentliche Hand den persönlichen Kontakt und die ehrenamtliche Arbeit nicht ersetzen.“ Neben den sozialen Unternehmen wünscht sie sich, dass möglichst viele Unternehmen auch sozial sind. „Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.“ Etwa wenn eine Firma neue Mitarbeiter nach München locke, ohne dass sich die Firmenleitung je Gedanken darüber gemacht hätte, wie man den Wohnungsbau in München ankurbeln könnte.   

    Dass sich soziales Engagement und die Gründung von sozialen Unternehmen auszahlen, davon sind Seipp und Heid überzeugt. „Man bekommt alles zurück, was man reingesteckt hat. Nicht unbedingt monetär, aber menschlich“, freut sich „buntkicktgut“-Macher Heid, der eine gut dotierte Arbeit aufgegeben hat. „Man weiß wofür man arbeitet – und ich freue mich jeden Tag aufs Neue darauf,“ ergänzte Seipp. „Wir haben nie daran gezweifelt, dass es gut und richtig ist, unser soziales Start-Up auf den Weg zu bringen und dass die Geschäftsidee funktioniert.“ Gäbe es mehr solcher Initiativen in München, dann würde die „Weltstadt mit Herz“ ihrem Ruf noch gerechter werden.   

    11. November 2019