
Armutsfallen – Wenn Risiko Armut verstärkt und Armut Menschen im Risiko hält
Dialogforum am 21. Februar 2019
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Menschen in Armut sind vermehrt Risiken ausgesetzt. Sie sind besonders anfällig gegenüber Naturkatastrophen oder Epidemien und leiden oft stärker unter bewaffneten Konflikten. Gleichzeitig hindern diese Faktoren die Menschen daran, der Armutsfalle zu entkommen. Welche Lösungen sind vorstellbar und praktikabel, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Dass es Frauen sind, die oft besonders unter Armut leiden, hob Dr. Sonja Ayeb-Karlsson von der University of Sussex und UNU-EHS in Bonn hervor. Nicht nur in Bangladesch sterben sie häufiger als Männer bei Naturkatastrophen, etwa bei Zyklonen oder bei Hitzewellen, wie eine Studie der Vereinten Nationen aufzeigt. Der Klimawandel wird dieses Problem weiter verschärfen. „Im Jahr 2017 haben 157 Millionen Menschen unter Hitzewellen gelitten, Milliarden von Arbeitsstunden gingen verloren. In der Landwirtschaft gab es dadurch deutlich geringere Erträge! Damit ihre Kinder nicht hungern, verzichten Frauen häufig auf ihr Essen, was sie wiederum schwächt“, erläuterte Ayeb-Karlsson. Auch Migration bietet nicht unbedingt einen Ausweg: „Die Menschen wandern aus ländlichen Gebieten ab, mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. In den Städten verdienen sie zwar mehr Geld, müssen aber oft gefährliche Arbeiten verrichten. Sie haben höhere Ausgaben, werden krank und benötigen Medikamente“, so die Forscherin. So sind sie am Ende trotz eines höheren Einkommens ärmer als zuvor. Aber: Sie tauchen in den Statistiken nicht mehr als absolut arme Menschen auf.

„Nach wie vor lebt die große Mehrheit der armen und von Nahrungsmittelunsicherheit betroffenen Menschen in ländlichen Gebieten“, berichtete Prof. Regina Birner. Sie leitet den Lehrstuhl für sozialen und institutionellen Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung an der Universität Hohenheim. Die vielfältigen Risiken, denen die kleinbäuerliche Landwirtschaft ausgesetzt ist, seien mit ein Grund dafür, dass Menschen der Armut nicht entkommen. Neben Wetterrisiken nannte sie die Gefahr, dass Nutztiere, sofern überhaupt vorhanden, krank oder gestohlen werden. Mehr als 70 Prozent der Kleinbauern in Sub-Sahara-Afrika sind so arm, dass sie nicht einmal Tiere halten können. Sie sind auf die Arbeit mit ihren Händen angewiesen. „Diese Bauern können dann höchstens zwei Hektar Land bewirtschaften, mit Hilfe von Nutztieren wäre es die doppelte Fläche“, machte Birner deutlich. Die Folge: In guten Jahren können die Menschen gerade so viel ernten, wie sie zum Leben benötigen. In schlechteren Jahren müssen sie hungern. Das macht es schwierig, der Armutsfalle zu entkommen.
Indexbasierte Versicherungen sinnvoll
Um den Kleinbauern zu helfen, seien Investitionen in Infrastruktur wie etwa in Bewässerungsanlagen und –techniken nötig. Im Bereich Risikomanagement können Instrumente wie indexbasierte Versicherungen helfen. Diese haben den Vorteil, dass eine Auszahlung an ein vorher festgelegtes Ereignis wie eine bestimmte Niederschlagsmenge gekoppelt ist (Auslöser oder sogenannter Trigger), ohne dass ein Versicherungsvertreter vor Ort den konkreten Schaden feststellen muss. Dadurch werden Versicherungsprodukte einfacher und günstiger sowie eher bezahlbar für Kleinbauern. Der Nachteil ist, dass der Trigger eventuell nicht auslöst, obwohl ein Schaden vorliegt. Die Qualität der Index- und Triggerberechnung ist hier entscheidend.

Große Hoffnungen knüpft Birner zudem an die Digitalisierung: „Die digitale Revolution bietet Kleinbauern in Entwicklungsländern eine einzigartige Gelegenheit, aus der Armut zu kommen“, erläuterte sie. Es seien jedoch besondere Anstrengungen erforderlich, um sicherzustellen, dass Kleinbauern, einschließlich Frauen und marginalisierte Gruppen, von neuen Technologien wie Smartphone-Apps profitieren. Diese Apps ermöglichen teils kostenfreie Fortbildungen. Landwirte können punktgenaue Anweisungen abrufen, wann optimale Aussaatbedingungen bestehen. Dadurch entsteht auch für Menschen in abgelegenen ländlichen Regionen ein immenses Ertragssteigerungspotenzial.
Dass Armutsbekämpfung ohne Wirtschaftswachstum nicht funktioniert, davon waren alle drei Experten überzeugt. „Das Wachstum muss nachhaltig und ressourcenschonend sein und alle Schichten der Bevölkerung erreichen“, forderte Volkswirt Fernandes Teixeira. Denn die Globalisierung hat gezeigt, dass der Wohlstand an vielen Gruppen völlig vorbeigegangen ist und sogar teilweise zu einem sozialen Abstieg geführt hat.

Landwirtschaft im Mittelpunkt
„Auch im Agrarsektor ist Wachstum absolut notwendig. Allein um die steigende Zahl an Menschen zu ernähren, die noch dazu bei größerem Wohlstand ihre Essgewohnheiten hin zu mehr Fleisch verändern“, ergänzte Birner. Allerdings müsse der Schwerpunkt mehr auf Ressourcenschonung gelegt werden. Gentechnisch verändertes Saatgut lehnt sie nicht rundweg ab, steht ihm aber kritisch gegenüber: „Die Gesellschaft muss selbst entscheiden, ob sie diesen Weg einschlagen will. Das Argument, dass es ohne Gentechnik nicht geht, teile ich allerdings nicht“, machte sie klar.
Sicher ist, Hilfsangebote für Entwicklung – egal ob von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), dem Privatsektor oder von Regierungen müssen eine feine Balance halten. Nur dann können sie die Empfänger auf Dauer vor Hunger, schlimmen Wohnverhältnissen in Armenvierteln und Krankheiten bewahren. Wir sollten Armutsbekämpfung als unsere moralische Pflicht sehen, nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch hier bei uns. Andernfalls wird sich der Teufelskreis der Armut weiterdrehen und die Länder, die bereits heute den größten Risiken ausgesetzt sind, weiter nach unten ziehen.
Das nächste Dialogforum findet am 12. März 2019 zum Thema „Win-win für alle – Unternehmerisch die Kluft überwinden“ statt.
26. Februar 2019