Energiewende und Digitalisierung – ein Plus für Klimaschutz, ein Minus im Kampf um Ressourcen?
Dialogforum spezial im Rahmen des Münchner Klimaherbst am 11. Oktober 2018
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Neben der Energiewende gilt die Digitalisierung als vielversprechende Maßnahme im Kampf gegen die Erderwärmung. Doch die Versorgung mit einer Reihe von Rohstoffen wie den Seltenen Erden, die für die Digitalisierung nötig sind, ist nicht nachhaltig gesichert. Und es stellt sich die Frage, wo bzw. unter welchen Bedingungen sie gewonnen werden und wie groß der ökologische und soziale Fußabdruck durch den Abbau ist.
Auf dem Dialogforum spezial, das die Münchener Rück Stiftung im Rahmen des „Klimaherbst 2018“ veranstaltet hat, betrachteten die Experten den Kampf gegen den Klimawandel aus einer anderen Perspektive. Sind überhaupt die Voraussetzungen gegeben, um die Erderwärmung auf zwei oder sogar 1,5 Grad zu begrenzen? Letzteres würde bedeuten, dass wir die CO2-Emissionen bis 2030 halbieren und bis 2050 auf Null reduzieren müssten. Skepsis ist angebracht: „Deutschland wird die bis 2020 gesteckten Klimaziele nicht erreichen, und auch in anderen Ländern sieht es nicht besser aus“, gab Dr. Steffen Lange vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin zu bedenken. Er würde den Optimismus in Bezug auf das Gelingen der Energiewende auf globaler Ebene gerne teilen, doch die nackten Zahlen sprächen dagegen. Denn dann müssten 80 Prozent der verfügbaren Kohlevorkommen, ein Drittel der Rohöl- sowie die Hälfte der Gasreserven für immer unter der Erde bleiben.
Engpassfaktor Seltene Erden
Ein schwieriges Unterfangen. Denn die Industrialisierung, die vor 200 Jahren in Großbritannien ihren Anfang nahm, wird sich fortsetzten und nach China schließlich auch Indien und die afrikanischen Länder erfassen. Dabei gilt, dass der Prozess der Industrialisierung stets mit hohem Energieverbrauch verbunden ist. „Die Physik und Chemie der Energieerzeugung muss sich komplett ändern, von der Verbrennung fossiler Ressourcen hin zu Wind, Photovoltaik und Wasserkraft“, verdeutlichte Dr. Peter Buchholz, der die Deutsche Rohstoffagentur DERA leitet. Das wirft völlig neue Probleme auf. „Bei vielen Rohstoffen wie den Seltenen Erden, bei Kobalt, Indium oder Gallium, die für die Energiewende nötig sind, herrscht eine höhere Marktkonzentration in der Primärgewinnung als bei Erdöl“, erläuterte Buchholz und fügte hinzu: „Daraus können sich neue Handelskonflikte entwickeln.“ Auch Recycling biete keinen Ausweg, weil die Rückgewinnungsquoten viel zu gering und die Kosten zu hoch seien.
Zudem stellt sich die Frage, ob überhaupt genug der seltenen Elemente vorhanden sind. Um das Zwei-Grad-Limit zu halten, braucht man laut einem Bericht der Weltbank die zehnfache Menge von dem, was heute verbraucht wird. „Bei bestimmten Rohstoffen haben wir nur eine berechnete Reichweite von zehn Jahren“, räumte Buchholz ein. Das bedeute aber nicht, dass dann Schluss sei, weil viele Vorkommen noch gar nicht entdeckt sind und die Erde nur zu einem Bruchteil erkundet ist. Sein Fazit: „Rein von der Quantität her sehen wir keine Engpässe, die den Ausbau der Energiewende beschränken würden.“ Es sei vielmehr eine Frage der Kosten und der technischen Machbarkeit.
Aber: Wichtige Rohstoffe liegen in Südafrika, Russland oder China. Deshalb müsse man neben der technischen Verfügbarkeit auch politische Unwägbarkeiten in den Lieferländern im Blick behalten. Außerdem vergehen heute zehn bis 20 Jahre, bis ein neues Bergwerk die nötige Größenordnung für einen Abbau im großen Stil erreicht hat. „Es bestehen also gewisse Hürden, was die Geschwindigkeit des Umbaus unserer Energiesysteme betrifft“, folgerte Buchholz. Außerdem müsse man bedenken, unter welchen Bedingungen die Rohstoffe gefördert werden“, ergänzte Lange. Es gehe nicht nur um die Lieferbarkeit, sondern um die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Rohstoffabbaus.
Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung
Die Umstellung auf regenerative Energien ist das Eine. Das Andere sind Leitungen und Speicher, damit der Strom dort verfügbar ist, wo er gerade benötigt wird. „Früher folgte die Stromproduktion dem Verbrauch, heute sind Verbrauch und Produktion häufig räumlich getrennt“, umriss Prof. Armin Schnettler das Problem. Der Leiter des Konzern-Forschungsbereichs „Energy and Electronics“ bei Siemens Corporate Technology sieht eine wichtige Aufgabe darin, die immer stärker fluktuierenden erneuerbaren Energien ins Stromsystem zu integrieren. Dies werde nur mit einem flexiblen Lastenmanagement, dem weiteren Netzausbau und der Speicherung von Energie in großem Stil gelingen. Seine Vision für die Zukunft sind die 3Ds Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Durch Stromspeicher und Sektorkopplung, also die engere Vernetzung der Energiewirtschaft mit der Industrie, steigt jedoch die Komplexität des Systems. Schon heute gibt es Tage, an denen Deutschland mehr regenerativen Strom erzeugt, als wir verbrauchen können. Deshalb müsse man sich Gedanken darüber machen, wie man die Überschüsse sinnvoll speichert.
Eine Möglichkeit dazu bietet das sogenannte Power to X. Darunter versteht man die Umwandlung von Strom in die Energieträger Gas (Power to Gas), Wärme (Power to Heat) und Treibstoff (Power to Fuel). „Wir werden in der einen oder anderen Art eine Wasserstoffwirtschaft bekommen“, ist Schnettler überzeugt. „In einigen sonnenreichen Regionen der Welt wie in Chile, Afrika, Australien oder dem Mittleren Osten sind die Gestehungskosten für Strom mit zwei Cent pro Kilowattstunde und darunter schon heute so gering, dass sich die Power to X-Technologie bereits lohnt. Die Rückverstromung in Gaskraftwerken werde es in Zukunft weltweit und auch in Deutschland geben.
CO2 durch engere Vernetzung einsparen
Wirtschaftlichkeit und Effizienz dürfen dabei aber nicht auf der Strecke bleiben. Das gilt gleichermaßen für die angestrebte Digitalisierung der Wirtschaft, wo beispielsweise durch smarte Vernetzungen Staus auf den Straßen vermieden werden. „Ähnliche Ideen gibt es für den Agrar- und Industriesektor, und in manchen Berechnungen kommt man zu dem Schluss, dass hier mehr Einsparpotenzial steckt als durch Klimapolitik auf internationaler Ebene“, erklärte Umweltökonom Lange. Doch um diese Potenziale zu heben, sind Ressourcen nötig, um Steuergeräte, Sensoren, Rechenzentren oder die Netzinfrastruktur aufzubauen. „Das bedeutet erst einmal Verbrauch von Ressourcen und Energie.“ Wäre das Internet ein Land, würde es schon heute global an dritter Stelle hinter den USA und China beim Stromverbrauch stehen. In den kommenden Jahren wird der Energiehunger mit der wachsenden Datenflut erheblich zunehmen.
Hinzu kommen sogenannte Rebound-Effekte. Je effizienter Produktion und Verbrauch, desto mehr Zeit, Geld und Ressourcen sind vorhanden, die dann für zusätzlichen Konsum genutzt werden können. Das macht die Erfolge der Digitalisierung teilweise zunichte. Deshalb plädiert Lange für das Konzept der digitalen Suffizienz oder Genügsamkeit: So viele digitale Geräte und so viel Vernetzung wie nötig, so wenig wie möglich. „Oder statt für zwei Tage für eine Geschäftsreise um die Welt zu fliegen lieber einmal über Videoschaltungen konferieren“, empfahl der Experte.
Liebgewonnenes Verhalten hinterfragen
Durch Verordnung von oben wird die Energiewende nicht funktionieren. Sie muss auf Marktmechanismen aufbauen, im globalen Maßstab umgesetzt werden und auf ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung treffen. Das heißt nicht, dass Deutschland wie bei den Erneuerbaren Energien zur Jahrtausendwende nicht voranschreiten sollte. Allerdings finden innovative technologische Entwicklungen heute eher in China statt, wie das Beispiel der E-Mobilität zeigt. Letztlich geht es beim Kampf gegen den Klimawandel aber nicht nur um technische Aspekte, sondern darum, dass wir den Blick weiten und liebgewonnene Verhaltensmuster etwa bei der Ernährung (Fleischkonsum!) mit entsprechenden Anreizstrukturen umstellen, machte Lange deutlich.
Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass die Energiewende kein kurzfristiger Prozess ist und wir noch viele Jahrzehnte auf Kohle, Öl und Erdgas angewiesen sind. Hoffnungsvoll stimmt, dass die Erneuerbaren Energien einen immer stärkeren Anteil am Verbrauch decken. Und auch die Digitalisierung – sofern richtig genutzt – eröffnet Möglichkeiten, die der Menschheit den Weg zu einer nachhaltigeren Energienutzung ebnen wird.
16. Oktober 2018