Klimaherbst München - Podium

CO2-Bepreisung und Mobilität im urbanen Raum – was kann eine Klimasteuer leisten?

Dialogforum spezial Münchner Klimaherbst am 22. Oktober 2019

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    Knapp 20 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland stammen aus dem Verkehrssektor. Gleichzeitig ersticken viele Städte wie München im Stau. Kann ein Preis für den CO2-Ausstoß Abhilfe schaffen? Und wenn ja, ist ein solches Modell sozial ausgewogen? Oder benachteiligt es bestimmte Einkommensgruppen oder die deutsche Wirtschaft? Die Experten auf dem Dialogforum spezial diskutierten darüber zum Teil kontrovers.

    Klimaherbst
    Etwa 100 Zuhörer verfolgten das Dialogforum spezial zu CO2-Bepreisung und Mobilität.

    Der Verkehr ist das Sorgenkind der Klimaschützer. Zwar wurden die Motoren in den letzten Jahrzehnten wesentlich effizienter, aber dafür fahren wir heute mehr und oft mit schwereren Autos. Laut Umweltbundesamt hat alleine der Pkw-Verkehr zwischen 1995 und 2017 um knapp 18 Prozent zugenommen. Ein Gegensteuern ist dringend nötig, denn uns läuft die Zeit davon, wie Dr. Brigitte Knopf, Generalsekretärin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), verdeutlichte: „Wollen wir den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 bis 2 Grad begrenzen, dürfen wir weltweit nur noch höchstens 800 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre einbringen.“ 

    CO2-Steuer wirkt dreifach
    Sie plädiert für eine CO2-Steuer oder alternativ für den Aufbau eines internationalen Emissionshandels. Beide Instrumente könnten nahezu gleichwertig ausgestaltet werden. Damit ließen sich drei Dinge auf einmal erreichen: „Wir verteuern die fossilen Brennstoffe und machen so erneuerbare Energien attraktiver, wir regen Investitionen in CO2-arme Technologien an und wir können die Einnahmen an die Bürger zurückgeben oder in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs stecken“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Den von der Bundesregierung im Klimapaket beschlossenen CO2-Preis (zunächst zehn Euro pro Tonne ab 2021) hält sie allerdings für deutlich zu niedrig. „Wenn wir die Einsparziele für 2030 erreichen wollen, benötigen wir einen sofortigen Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne, der dann bis 2030 auf 130 Euro steigt“, erklärte sie. Die ebenfalls im Klimapaket beschlossene höhere Pendlerpauschale sieht sie kritisch. Sie setze falsche Anreize und sei darüber hinaus sozial unausgewogen, weil vor allem höhere Einkommen und Langstreckenpendler entlastet würden. 

    Das Klimapaket der Bundesregierung greift oft zu kurz, davon ist auch Dr. Jörg Lange, Vorstand des Vereins CO2 Abgabe, überzeugt. „Wenn Deutschland die Klimaschutzziele von Paris erreichen soll, müssen bis 2030 die Treibhausgase um mindestens 54 Prozent oder 466 Millionen Tonnen pro Jahr sinken. Mit den jetzigen Maßnahmen erreichen wir maximal ein Drittel davon“, rechnete er vor. 

    Politik muss Kompromisse finden
    Es ist für Politiker oft nicht einfach, die Empfehlungen der Wissenschaft umzusetzen, müssen sie doch immer auch an ihre Wähler denken. „In Umfragen ist jeder für mehr Klimaschutz, bei der Bereitschaft, sich tatsächlich einzuschränken, ist die Zustimmung schon geringer“, gab Sandro Kirchner, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung im bayerischen Landtag, zu bedenken. Aufgabe der Politik sei es, hier einen Kompromiss zu finden. Das ist nicht einfach. „Die Industrie muss die Chance haben, den Wandel mitzugehen, damit die Menschen ihre Arbeitsplätze behalten“, verdeutlichte er. 

    Eine CO2-Bepreisung könne ein gutes Lenkungsinstrument sein, sollte aber global stattfinden und alle Sektoren einbinden. „Ein nationaler Alleingang würde zu Wettbewerbs- und Standortnachteilen führen“, befürchtet der Landtagsabgeordnete. Allerdings sind andere Länder hier schon weiter als Deutschland und haben längst eine Emissionssteuer eingeführt. In Bayern, so Kirchner, befänden sich energieintensive Betriebe, die von der Klimadiskussion stark betroffen seien und die auch die Standortfrage stellen würden. Sollten sie ihre Produktion ins Ausland verlegen, wäre der CO2-Ausstoß dort möglicherweise höher und dem Klima nicht geholfen. Auch dürften Stadt und Land nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern jeder Bereich benötige eigene Lösungen. „Auf dem Land ist man stärker auf die individuelle Mobilität angewiesen, weil es nur wenig öffentlichen Nahverkehr gibt. Die Menschen dort dürfen nicht abgehängt werden“, forderte er. Statt auf Verbote setzt Kirchner auf Anreizsysteme und Innovationen, die den nötigen Wandel vorantreiben. „Auch bei der Bekämpfung des Ozonlochs ist es gelungen, das schädliche FCKW aus der Atmosphäre zu verbannen, ohne den Kühlschrank als solches zu verbieten.“

    Klimaherbst
    Auf dem Podium diskutierten Sandro Kirchner, Dr. Jörg Lange und Dr. Brigitte Knopf. Matthias Altmann übernahm die Moderation.

    Großes Sparpotenzial im Energiesektor
    „Es fordert im Moment so gut wie niemand, die energieintensive Industrie aus Deutschland zu verbannen“, stellte Lange klar. Sie müsse aber emissionsärmer werden. Generell wünscht sich Lange, dass weniger über Ziele, als über Maßnahmen gesprochen werde. So können Millionen Tonnen von CO2 eingespart werden. Jedem, der sich mit der Materie beschäftige, sei bewusst, dass im Rahmen der von der EU vorgegebenen jährlichen Überprüfung schon 2020 die Einsparziele verfehlt würden. „Dann muss man Sofortmaßnahmen ergreifen. Der Aufschrei wird groß sein“, glaubt er. Lange sieht großes Einsparpotenzial im Energiesektor: Hier könnten die Emissionen bei einer CO2-Bepreisung deutlich sinken. „Alleine die großen Kraftwerke in Deutschland stoßen jährlich rund 300 Millionen Tonnen CO2 aus. Davon könnte man 200 Millionen Tonnen einsparen, selbst wenn man einen moderaten CO2-Preis festlegt, der von heute 40 Euro bis 2030 auf 90 Euro pro Tonne steigt.“ 

    Wie teuer kann es werden, wenn wir – und viele andere Länder mit uns –  die Ziele für 2030 nicht erreichen? „Das ist für mich keine Preisfrage, weil wir unsere Lebensgrundlage aufs Spiel setzen“, so Lange. Das Bundesumweltamt hat 2016 versucht, die Klimaschadenkosten greifbar zu machen und auf 180 Euro pro Tonne CO2 taxiert. „Diese Kosten werden auf mehrere hundert Euro pro Tonne bis 2050 steigen. Es wird noch viel teurer als heute, um die Klimaschäden einigermaßen in den Griff zu bekommen“, prognostiziert er. Sicher ist, dass es für den deutschen Steuerzahler teuer wird, weil Strafzahlungen von geschätzt bis zu 60 Milliarden Euro an die EU fällig werden, wenn wir die Ziele für 2030 verfehlen. „Deshalb hat die Regierung den Weg offen gelassen, ab 2026 noch einmal stark die Klimaschutzmaßnahmen nachzubessern und möglicherweise verbindliche Emissionsobergrenzen festzulegen“, ergänzte MCC-Generalsekretärin Knopf. Wir verlieren damit wertvolle Zeit.

    Unternehmen schon weiter als die Politik
    „Wenn wir die Vorgaben nicht erreichen, dann gibt es ganz klar Strafen“, räumte auch MdL Kirchner ein. „Nur stellt sich die Frage, ob es nicht noch teurer kommt, den Hebel radikal umzulegen. Die Wirtschaft könnte einbrechen und Steuereinnahmen würden fehlen.“ „Wir haben keine andere Wahl als den Umbau unserer Wirtschaft und der Infrastruktur voranzutreiben“, entgegnete Lange. Viele Unternehmen seien da schon weiter und würden intern längst mit bestimmten CO2-Preisen rechnen. „Die Politik rennt oftmals hinterher und lässt sich von den Verbänden treiben. Verbände müssen aber nicht unbedingt die Meinung der einzelnen Unternehmen widerspiegeln“, kritisierte er. Sein Vorschlag: „Wir müssen mehr Platz für Innovationen in den Unternehmen schaffen und neue Geschäftsmodelle auf den Weg bringen, um den Übergang zu weniger Emissionen fließend zu gestalten.“ Wenn man damit bis 2025 warte, dann werde der Umbruch noch viel härter. Hätten wir schon vor 30 Jahren begonnen, CO2 mit zehn Euro pro Tonne zu bepreisen und diesen Preis jährlich moderat erhöht, würden wir heute ganz anders dastehen, ist Lange überzeugt. 

    Dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist, das wurde an diesem Abend deutlich. Noch teurer wird es allerdings, wenn wir den CO2-Ausstoß nicht rasch vermindern. Über die Verteilung der Kosten werden Politik, Wirtschaft und andere Interessengruppe sicher noch lange debattieren. Eines ist sicher: Wenn das 2019 beschlossene Klimapaket der Bundesregierung nicht nachgebessert wird, sind unsere deutschen Klimaziele in Gefahr.

    28. Oktober 2019