Wasserstoff für den Klimaschutz - Vom Hype zur Realität
Dialogforum in Kooperation mit acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
1. Oktober 2025, 18 Uhr
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Ist Wasserstoff der „Champagner der Energiewende“? Oder ein essenzieller Bestandteil auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung? Wo hat er seinen größten Nutzen und welche Rahmenbedingungen sind nötig, um einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarkt zu etablieren? Die Expert:innen des Dialogforums, das die Münchener Rück Stiftung in Kooperation mit acatech veranstaltet hat, lieferten tiefe Einblicke in die Welt des Wasserstoffs.
Prof. Robert Schlögl, Chemiker am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion und Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, stellte gleich zu Beginn klar, dass ausschließlich auf Elektrizität ausgerichtete Energiekonzepte nicht funktionieren können. Für ihn gilt deshalb: „Wasserstoff ist nicht der Champagner der Energiewende, für den ihn manche halten, sondern eher das Mineralwasser.“ Die Frage sei allenfalls, wie viel Wasserstoff man für eine nachhaltige Energiewende benötige.
Wasserstoff ist nicht der Champagner der Energiewende, für den ihn manche halten, sondern eher das Mineralwasser.
Prof. Robert Schlögl
Chemiker, Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion / Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung
Wasserstoff vielseitig einsetzbar
Der große Vorteil des farb- und geruchlosen Gases ist, dass es für viele Anwendungen infrage kommt, die heute noch mit Kohle, Öl oder Erdgas erledigt werden. „Das hat nicht nur Kostenvorteile gegenüber rein elektrischen Lösungen, sondern ist auch ein wesentlicher Faktor, um die Energiewende ohne Widerstand der Nutzer zu erreichen“, ist Schlögl überzeugt. Der Nachteil ist, dass bei der Erzeugung von Wasserstoff je nach Verfahren bis zu 80 Prozent der eingesetzten Energie verloren gehen. Ein nachhaltiges Energiesystem besteht daher idealerweise aus einer Mischung von Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Quellen.
Für die Klimabilanz ist entscheidend, woher der Wasserstoff stammt. Weltweit werden derzeit pro Jahr etwa 120 Millionen Tonnen sogenannter grauer Wasserstoff aus Methan hergestellt. Dabei fallen pro Tonne zwölf bis 15 Tonnen CO₂ an. Aber auch bei grünem Wasserstoff, der in riesigen Elektrolyseuren aus Wasser mit Hilfe von regenerativem Strom gewonnen wird, sind es prozessbedingt immer noch zwei bis vier Tonnen CO₂“, erläuterte der Energieexperte und verdeutlichte: „Grün bedeutet also nicht null CO₂.“
Kostenmäßig könne Wasserstoff nicht mit den derzeitigen Gaspreisen mithalten. Als die Energiepreise jedoch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in die Höhe geschossen sind, war Wasserstoff durchaus wettbewerbsfähig. Mögliche Anwendungen sind laut Schlögl die Produktion von E-Fuels für Flugzeuge, die Speicherung von Energie oder die Herstellung von grünem Stahl. „Die Wasserstoffwirtschaft wird auf jeden Fall kommen. Wie viel wir bei uns machen, hängt davon ab, wann wir die ideologische Schwelle überschreiten“, ließ er keinen Zweifel. Als Richtschnur für den weiteren Weg könne ein Zitat von Goethe dienen: „Entscheide lieber ungenau in die richtige Richtung als genau in die falsche Richtung.“
In die richtige Richtung steuert beispielsweise das Projekt SALCOS (Salzgitter Low CO₂ Steelmaking). Der Stahlkonzern Salzgitter hat gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung die Grundlagen für eine nahezu klimaneutrale Stahlproduktion geschaffen. Mit Strom aus erneuerbaren Quellen wird mittels Elektrolyse grüner Wasserstoff gewonnen, der die Kohle im konventionellen Hochofenprozess ersetzt. „Wir bauen derzeit für 2,5 Milliarden Euro unsere Flüssigphase der Stahlerzeugung auf am Ende Wasserstoff um. Das ist viel Geld für einen Konzern wie die Salzgitter AG“, machte Dr. Ing. Stefan Mecke, Senior Manager und Projektsprecher SALCOS®, deutlich. Natürlich könne man die wirtschaftliche Frage nicht ausblenden. „Das gesellschaftliche Gut des Klimaschutzes muss man in einen Preis und eine Zahlungsbereitschaft übersetzen, das ist die eigentliche Herausforderung. Die technischen Prozesse haben wir im Griff, an den Rahmenbedingungen für unseren Business Case arbeiten wir noch.“ Trotzdem sei das Projekt alternativlos, wenn Salzgitter auch künftig in Deutschland produzieren wolle. Schließlich hat sich das Land bis 2045 Klimaneutralität verordnet.
Das gesellschaftliche Gut des Klimaschutzes muss man in einen Preis und eine Zahlungsbereitschaft übersetzen, das ist die eigentliche Herausforderung. Die technischen Prozesse haben wir im Griff, an den Rahmenbedingungen für unseren Business Case arbeiten wir noch.
Dr. Stefan Mecke
Senior Manager SALCOS® Communication / Projektsprecher SALCOS®, Salzgitter AG
Stabile Rahmenbedingungen notwendig
Ohne Wasserstoff ist eine treibhausgasneutrale Energiewende also nicht möglich. Doch woher sollen die dafür benötigten Mengen kommen? Auf EU-Ebene wurde das Ziel formuliert, bis 2030 jährlich zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu erzeugen. „Um das zu erreichen, benötigen wir 12.500 herkömmliche Elektrolyseure“, ordnete Maike Schmidt, Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), die Dimensionen ein. Weitere zehn Millionen Tonnen wolle man aus Partnerländern importieren. Dabei müsse man klären, wie diese Menge transportiert werden könne. „Es gibt noch viele offene Fragen, aber Europa hat sich aufgemacht.“
Die eigens eingerichtete europäische Wasserstoffbank ist dazu geeignet, Projekte zu fördern und den Markthochlauf von Wasserstoff voranzutreiben. „Auf Bundesebene haben wir die nationale Wasserstoffstrategie, die das ambitionierte Ziel verfolgt, bis 2030 zehn Gigawatt Elektrolyseleistung in Deutschland aufzubauen. Dieses Ziel jetzt ganz infrage zu stellen, nur weil es möglicherweise erst später erreicht wird, ist aus meiner Sicht die absolut falsche Botschaft“, kritisierte Schmidt. Denn damit Unternehmen entsprechend investieren, seien stabile Rahmenbedingungen notwendig, die sich nicht in jeder Legislaturperiode verändern. „Dass wir jetzt auf einmal wieder vermehrt auf Erdgas setzen, obwohl im vergangenen Jahr die Entscheidung für ein Wasserstoffkernnetz gefallen ist und erste Arbeiten und Investitionen bereits stattgefunden haben, halte ich schon für ein bisschen dramatisch“, gab sie zu bedenken.
Auf Bundesebene haben wir die nationale Wasserstoffstrategie, die das ambitionierte Ziel verfolgt, bis 2030 zehn Gigawatt Elektrolyseleistung in Deutschland aufzubauen. Dieses Ziel jetzt ganz infrage zu stellen, nur weil es möglicherweise erst später erreicht wird, ist aus meiner Sicht die absolut falsche Botschaft.
Maike Schmidt
Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW)
Energiewende ist unumkehrbar
„Es ist ein Denkfehler zu glauben, wenn wir die Energiewende bremsen, kämen die wirtschaftlich starken 1980er oder die 2000er Exportweltmeister-Jahre einfach zurück. Wir stehen vor neuen Herausforderungen und brauchen für die Transformation der Industrie Planungssicherheit. Wir müssen zwar weiter an den politischen Rahmenbedingungen arbeiten, aber sollten nicht komplett umsteuern, sobald Schwierigkeiten auftreten“, ergänzte Mecke. Klar sei, dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben sei. „Ein Elektroauto aus grünem Stahl wird einer Studie zufolge lediglich etwa 0,6 Prozent teurer sein, als mit konventionellem Stahl. Das macht ein paar hundert Euro aus, was meistens nicht einmal dem Preis einer Sonderlackierung entspricht.“
„Die Ziele für die Wasserstoffproduktion in Deutschland sind richtig, allenfalls können wir über den Weg diskutieren und eventuell mehr auf das freie Spiel der Marktkräfte als auf Regulatorik setzen“, machte Schlögl deutlich. Andernfalls werde man am Ende die Technologien aus China einkaufen müssen. „In der Welt um uns herum ist Wasserstoff Realität, kein Hype. Das müssen wir nicht mehr diskutieren. Hört bitte auf, das infrage zu stellen. Das ist Gift, das ist tödlich“, appellierte er an die Politik.
Der auf EU-Ebene etablierte Emissionshandel ist ein gutes Instrument, um den Aufbau eines kohlenstoffneutralen Energiesystems zu forcieren. „Wir brauchen Anreize, um etwa grünen Stahl zum Durchbruch zu verhelfen“, forderte Schmidt. Hier habe die öffentliche Hand als Beschaffer einen großen Hebel. Und im Zweifel müsse man die Unternehmen auch finanziell unterstützen. „Ohne Regulatorik wird es nicht funktionieren, aber mit viel Freiraum und möglichst wenig Vorschriften“, ergänzte Schlögl. Der Staat müsse als Kontrolleur auftreten, nicht als Unternehmer.
Sinkende Preise durch Skaleneffekte
Wie Mecke verdeutlichte, sind wir zum Erfolg verdammt. „Wenn die bereits angelaufenen Leuchtturmprojekte nicht ins Laufen kommen, dann wird es schwierig werden, Nachahmer zu finden. Und natürlich sind auch bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff noch Entwicklungen zu erwarten. Die ersten Windräder waren auch kleiner und der erzeugte Strom war teurer als bei modernen Anlagen“, zog er die Parallele zu den Anfängen der Windenergie. „Mit steigender Erzeugung wird auch der Preis von grünem Wasserstoff sinken“, gab Schlögl zu bedenken. „Einen Großteil werden wir ohnehin aus anderen Ländern importieren müssen. Einerseits wegen der Flächenthematik in Deutschland, andererseits, weil in anderen Ländern mehr grüne Energie zur Verfügung steht. „Wir müssen aber auch garantieren, dass wir den Wasserstoff tatsächlich abnehmen, sonst wird er nicht produziert“, erklärte Schmidt.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität führt kein Weg an Wasserstoff vorbei. Auch abseits der Klimafrage ist der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sinnvoll. „Der Zusammenbruch des Multilateralismus wird uns dazu zwingen, dem Wasserstoff eine andere Bedeutung zuzumessen“, glaubt Schlögl. Denn wir hätten einen erheblichen Vorteil in Form von mehr Resilienz, wenn wir uns mithilfe erneuerbarer Energien und Wasserstoff aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreien würden. Schon aus Eigeninteresse sollten Deutschland und Europa daher den Club der Willigen nicht verlassen.