
Gesunde Erde - Gesunde Menschen: Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns!
Dialogforum in Kooperation mit der Stiftung 'Gesunde Erde – Gesunde Menschen' | Zusammenfassung
27. November 2025
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Im Gespräch mit unseren Expert:innen – Video Serie
Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft vor der zunehmenden Erderwärmung. Viele Menschen glauben jedoch, die Folgen lägen noch in ferner Zukunft, weshalb das Thema abstrakt bleibt und schwer in die Köpfe der Menschen dringt. Prof. Dr. med. Eckart von Hirschhausen, Geschäftsführer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“, plädiert deshalb für einen anderen Ansatz: den Klimawandel unmittelbar mit unseren Lebensgrundlagen in Verbindung zu bringen. „Unsere Gesundheit beginnt nicht mit einer Tablette, einem MRT oder einer Operation. Sie beginnt mit der Luft, die wir atmen, dem Wasser, das wir trinken können, mit Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander“, erklärte er.
All diese Grundlagen seien akut in Gefahr. Es sei eine Illusion zu hoffen, dass der Markt es schon regeln werde, solange eine Tonne CO₂ einen Schaden von 2000 Dollar verursache, im Emissionshandel aber nur einen Bruchteil davon koste. „Weil wir eine Welt von Desinformation und Fake News in ungeahntem Ausmaß erleben, ist es so wichtig, informierte Stimmen in den Diskurs zu holen, die die Zahlen kennen oder die das Geld haben, das wir brauchen, um Veränderungen zu ermöglichen“, forderte Hirschhausen.
Unsere Gesundheit beginnt nicht mit einer Tablette, einem MRT oder einer Operation. Sie beginnt mit der Luft, die wir atmen, dem Wasser, das wir trinken können, mit Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander
Hitze, Allergien und neue Krankheiten
Eine dieser Stimmen ist Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg. Ihrer Meinung nach stellen die immer heißeren Sommer eine große Gefahr dar. „Der menschliche Körper kann sich in gewissem Maß an die Hitze anpassen. Ab einer Körpertemperatur von 42 Grad beginnen jedoch die Proteine im Körper zu denaturieren“, erklärte sie. Dieser Prozess sei, wie beim Frühstücksei, irreversibel. Es seien längst nicht nur ältere Menschen, die der Hitze zum Opfer fallen, sondern auch jüngere Menschen, die im Freien arbeiten. So sei etwa ein Dachdecker mit stark erhöhter Körpertemperatur in ihr Klinikum eingeliefert worden und an Multi-Organversagen gestorben.
Hinzu komme die Anfälligkeit für Allergien, die meistens durch Pollen verursacht werden. „Etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen in Deutschland sind allergisch. Durch den Klimawandel werden mehr und länger Pollen freigesetzt, die zudem aggressiver werden“, erläuterte sie. Invasive Arten wie das Beifußblättrige Traubenkraut, auch Ambrosia genannt, dessen Pollen starke Allergien auslösen können, verschlimmern die Lage zusätzlich. Auch Insekten wie die Asiatische Tigermücke oder Viren wie das West-Nil-Virus, das inzwischen in Berlin nachgewiesen wurde, entpuppen sich zunehmend als Problem.
Versicherer als Frühwarnsystem
Zu den ersten, die die Gefahren des Klimawandels in der Wirtschaft erkannt haben, gehörten die Versicherer. Weil ihnen die steigenden Schadentrends durch Naturkatastrophen und die immer schwierigere Kalkulierbarkeit von Risiken zu schaffen machen, gelten sie als der sprichwörtliche Kanarienvogel in der Kohlemine, der früher vor dem tödlichen Kohlenmonoxid gewarnt hat. Munich Re beispielsweise hat die zunehmenden Risiken durch den Klimawandel bereits seit 1973 auf dem Schirm.
„Wir müssen in der Versicherungsindustrie noch besser verstehen, was der Klimawandel konkret für bestimmte Produkte wie die Lebensversicherung oder die Berufsunfähigkeitsversicherung bedeutet”, räumte Prof. Dr. med. Mathias Orban, Senior Medical Consultant bei dem Rückversicherer, ein. Dazu müsse man die möglichen Veränderungen quantifizieren, um sie dann in die Kalkulationen einfließen zu lassen. Schon heute könne man erkennen, dass die Übersterblichkeit bei Hitze zunehme. „Weil jedes Land verschieden ist, muss man regionalspezifisch abklären, ab wann die Hitze gefährlich wird”, so Orban, der selbst Facharzt für Kardiologie ist. „Eine zentrale Frage ist: Nimmt die Zahl der Hitzetoten so stark zu, dass der theoretische Abfall der Kältetoten überkompensiert wird?”
Eine andere Frage sei, wie die Versicherer über ihr Geschäftsmodell hinaus die Menschen für das Thema sensibilisieren können. „Ich sehe eine unserer Grundfunktionen darin, die Kunden darüber aufzuklären, welche Gefahren und Kosten möglicherweise auf sie zukommen, auch wenn sich das in manchen Bereichen vielleicht noch nicht so gut quantifizieren lässt“, sagte er. Da es an genauen Daten zu den Folgen des Klimawandels in 15 oder 20 Jahren mangelt, müsse man mit Projektionen, Spannbreiten und Szenarien arbeiten.
Ich sehe eine unserer Grundfunktionen darin, die Kunden darüber aufzuklären, welche Gefahren und Kosten möglicherweise auf sie zukommen
Mannheim: Stadt mit Modellcharakter
Wenn es darum geht, ins Handeln zu kommen, ist Mannheim Vorreiter. Die Stadt wurde im Januar 2024 als erste deutsche Kommune mit dem EU-Mission-Label für klimaneutrale und intelligente Städte ausgezeichnet. Um eine ökologische und naturverträgliche Landbewirtschaftung zu fördern, wurde im Rahmen eines Modellprojekts der fast ausgestorbene und stark gefährdete Feldhamster wieder angesiedelt, wie die Erste Bürgermeisterin Prof. Dr. Diana Pretzell berichtete.
Auch bei anderen Projekten dient die Stadt als Vorbild und will bis 2030 klimaneutral sein. „Wir pflanzen jedes Jahr 1000 Bäume, wir fördern das Entsiegeln von Innenhöfen oder das Begrünen von Dächern, wir haben ein Local-Green-Deal-Team, das die Wirtschaft berät, wie man sein Unternehmen grüner machen kann, und wir haben Trinkbrunnen in der Stadt verteilt“, zählte sie verschiedene Maßnahmen auf. Außerdem stehe das Thema Gesundheit ganz oben auf der Agenda. „Unser Uniklinikum läuft voll, wenn es heiß ist. Deshalb versuchen wir, die Leute mithilfe einer selbst entwickelten Karte an kühle Orte zu führen.“ Gerne würde die Stadt ein Hitzetelefon für ältere Menschen einrichten. Dies sei jedoch aus Datenschutzgründen derzeit noch nicht möglich.
Die Kosten auf dem Weg zur Klimaneutralität sind hoch. „Allein in Mannheim benötigen wir inklusive Klimaanpassung drei bis fünf Milliarden Euro, um das Ziel bis 2030 zu erreichen.“ Mobilisieren will Pretzell die Mittel unter anderem über die EU. Sie lobte die EU-Kommission, die verstanden habe, dass Städte zusammen mit der Wirtschaft einen großen Hebel beim Klimaschutz haben. Daneben sei der Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Klima gefragt. Dieser weigere sich jedoch, EU-Mittel direkt an die Kommunen weiterzureichen, und stopfe stattdessen eigene Budgetlöcher. „Nur in den Kommunen schaffen wir es, die Klimaanpassung konkret umzusetzen. Ohne uns wird das nichts“, betonte Pretzell.
Nur in den Kommunen schaffen wir es, die Klimaanpassung konkret umzusetzen. Ohne uns wird das nichts
Politische Stolpersteine und Chancen
Dass bestimmte politische Kräfte versuchen, Errungenschaften im Klimaschutz wie den Emissionshandel zurückzudrehen, macht die Lage nicht einfacher. „Der Emissionshandel ist ein geniales Instrument, um die Verschmutzung mit CO₂ zu bepreisen“, erklärte Hirschhausen. Kombiniert mit einem Klimageld, das jeder Bürger und jede Bürgerin als Ausgleich für steigende CO₂-Preise erhielte, könnte man die Menschen für mehr Klimaschutz begeistern.
Unstrittig ist, dass die Klimakrise Millionen von Menschenleben gefährdet – sei es durch Naturkatastrophen oder gesundheitliche Gefahren. Schwarzmalerei ist dennoch fehl am Platz. „Ich bin grundsätzlich optimistisch, denn es verbessern sich ja auch Dinge“, sagte Orban. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreite voran, und durch die Dekarbonisierung der Energiesysteme sinke die Feinstaubkonzentration. „Wenn wir künftig besser wissen, welche Gesundheitsauswirkungen von welchem Klimarisiko ausgehen, kann man sich auch besser anpassen“, fügte er hinzu.
Zwischen Hoffnung und Handlungsdruck
Wir müssen mehr auf Prävention achten und dafür sorgen, dass die Menschen gesund bleiben
Podiumsgäste
Prof. Dr. med. Eckart von Hirschhausen
Geschäftsführer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“, Arzt & Wissenschaftsjournalist
Prof. Dr. med. Mathias Orban
Senior Medical Consultant, Munich Re
Prof. Dr. Diana Pretzell
Erste Bürgermeisterin der Stadt Mannheim
Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann
Ärztin, Professorin für Umweltmedizin, Universität Augsburg und Beirätin des WBGU
Moderation
