Watering plants
© Ivan Horvat / Pixabay

Climate-smart Agriculture, Organic Farming & Co – neue Wege in der Landwirtschaft

Dialogforum spezial zum Münchner Klimaherbst am 20. Oktober 2021

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    Die Welt steht vor einem Dilemma: Um den globalen Hunger zu bekämpfen, muss die landwirtschaftliche Produktion steigen. Gleichzeitig trägt die Landwirtschaft als  großer Emittent klimaschädlicher Treibhausgase zur Erderwärmung bei. Welche Wege aus diesem Dilemma führen können, skizzierten die Experten auf dem Dialogforum spezial anlässlich des Münchner Klimaherbsts 2021. Moderiert wurde die Veranstaltung von Florian Kienast, Bayrischer Rundfunk.

    Die Fakten liegen seit langem auf dem Tisch: Nach Erhebungen der Welthungerhilfe leiden etwa 690 Millionen Menschen Hunger, zwei Milliarden sind von Mangelernährung betroffen. Auf der anderen Seite stammen rund 40 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen aus dem globalen Ernährungssystem, also der Produktion, der Verarbeitung, dem Transport und dem Konsum von Lebensmitteln. Es sind vor allem Kleinbetriebe, die die Menschen mit Nahrung versorgen. „Von den weltweit mehr als 600 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben haben über 80 Prozent weniger als zwei Hektar Anbaufläche zur Verfügung“, erläuterte Christel Weller-Molongua, Abteilungsleiterin Ländliche Entwicklung und Landwirtschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im globalen Süden würden 500 Millionen Kleinbauern 70 Prozent der Nahrungsmittel herstellen. Sie leiden Weller-Molongua zufolge schon heute unter den Auswirkungen des Klimawandels wie Dürren aber auch Erosion unter anderem durch zunehmende Starkniederschläge, wodurch jährlich über zehn Millionen Hektar Ackerland verloren gingen.  

    Weller-Molongua, GIZ
    © GIZ / Weller Molongua
    Für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft gibt es nicht den einen Ansatz, sondern wir müssen ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele unter Berücksichtigung des lokalen Kontexts in Einklang bringen.
    Christel Weller-Molongua
    GIZ

    Lokalen Kontext berücksichtigen

    Neben den Landverlusten gibt es weitere Faktoren, die einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion im Wege stehen: Lebensmittelverluste bei Produktion und Verarbeitung ist das eine. Die zunehmende Spezialisierung hin zu Monokulturen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern, die den vermehrten Einsatz von Dünger nötig macht, ist das andere. „Für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft gibt es nicht den einen Ansatz, sondern wir müssen ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele unter Berücksichtigung des lokalen Kontexts in Einklang bringen“, ist Weller-Molongua überzeugt. Dazu zählen Bodenschutzmaßnahmen und Ressourcenmanagement, genauso wie optimierte Lieferketten. Sie forderte eine stärkere Rolle der Frauen. „Sie bilden oft das Rückgrat der Landwirtschaft und denken im Gegensatz zu Männern mehr in Richtung gesunde Ernährung ihrer Familien.“ Studien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge könnte man mancherorts 20 bis 30 Prozent mehr ernten, wenn Frauen den gleichen Zugang zu Produktionsmitteln hätten wie Männer. 
    Christian Hülsebusch (DITSL)
    © Christian Hülsebusch, DITSL
    Bei der Gestaltung der künftigen Landwirtschaft gibt es kein wahr oder falsch, wir müssen uns an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren
    Christian Hülsebusch
    Deutsches Instituts für tropische und subtropische Landwirtschaft, transdisziplinäre und sozialökologische Landnutzungsforschung (DITSL)
    „Bei der Gestaltung der künftigen Landwirtschaft gibt es kein wahr oder falsch, wir müssen uns an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren“, appellierte Dr. Christian Hülsebusch, Geschäftsführer des Deutsches Instituts für tropische und subtropische Landwirtschaft, transdisziplinäre und sozialökologische Landnutzungsforschung (DITSL). Ziel müsse es sein, die Landwirtschaft energieeffizienter, adaptiver, diverser, regionaler und verlustfreier zu gestalten. Das bedeute beispielsweise, stärker auf Methanemissionen zu achten und den Einsatz von Kunstdünger, Treibstoffen und synthetischen Pflanzenschutzmitteln zu minimieren. Oder den Boden nicht nur als Produktionsplattform zu sehen, sondern die Herstellung von Nahrungsmitteln als einen Teil von standortspezifischen Ökosystemen zu betrachten. Vielversprechend seien Ansätze des Intercropping, also des Anbaus zweier oder mehrerer Pflanzen in unmittelbarer Nachbarschaft, sowie Agroforstsysteme (Anbau von Bäumen oder Sträuchern auf landwirtschaftlichen Nutzflächen). 

    Lange Liefer- und Verarbeitungsketten sind problematisch

    Zudem müsse man darauf hinwirken, Liefer- und Verarbeitungsketten zu verkürzen. Damit würde die Wertschöpfung der Verarbeitung den Menschen vor Ort zugute kommen, und es würden nicht wie bisher bis zu 20 Prozent der Ernte bei Getreide oder sogar bis zu 70 Prozent bei Obst und Gemüse auf dem Weg zum Verbraucher verloren gehen. „Wenn das gelingt, könnte man leicht die geringere Produktivität einer ökosystem-basierten Landwirtschaft wettmachen“, ist Hülsebusch überzeugt. 

    Fehler der Industriestaaten vermeiden

    Catherina Hinz, Geschäftsführende Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, brachte das Konzept des Leapfrogging ins Spiel, um die bis 2050 sich verdoppelnde Einwohnerzahl in Afrika ernähren zu können. Leapfrogging bedeutet, technische und soziale Innovationen, die in großen Sprüngen Fortschritt bringen, zu nutzen, und gleichzeitig ineffiziente, umweltschädliche und kostspielige Zwischenstufen der Entwicklung zu vermeiden. „Das ist besonders wichtig im Agrarsektor, weil er der Schlüssel für die sozioökonomische Entwicklung ist“, erläuterte Hinz. 
    Leapfrogging
    © Berlin-Institut
    Das "Leapfrogging" Model
    Als Beispiel für Leapfrogging nannte sie die rasche Verbreitung von Mobiltelefonen in Afrika, ohne dass man den Umweg über das Festnetz und die damit verbundenen Investitionen in Infrastruktur gegangen wäre. Damit hat es der Kontinent geschafft, beim Mobilfunk weiter zu sein als manch hochindustrialisiertes Land im globalen Norden. Beim Leapfrogging im Agrarsektor müsse Afrika darauf achten, die Fehler der Industriestaaten wie abnehmende Biodiversität, hohe Treibhausgasemissionen, verschmutztes Grundwasser oder Bodenerosion zu vermeiden. 
    Als gelungenes Beispiel führte Hinz das nigerianische Sozialunternehmen Babban Gona an. „Es bietet ein Gesamtpaket, das Kleinbauern den Zugang zu Qualitäts-Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Krediten erleichtert und sie bezüglich Lagerung, Verkauf und Zugang zu Märkten berät.“  Dadurch konnten die Bauern in verschiedenen Regionen Nigerias ihre Erträge im Mittel um mehr als das Doppelte steigern. Leapfrogging könne außerdem durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie gelingen, um etwa genaue Daten zu Preisen, Wetter- oder Erntebedingungen zu erhalten. Über entsprechende Apps könnten Bauern Informationen zur Schädlingsbekämpfung oder zur Bodenqualität abrufen oder sich miteinander vernetzen. „Leapfrogging ist kein Allheilmittel“, räumte die Expertin ein, „es trägt aber viel dazu bei, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen.“ 

    Eigene Zielvorstellungen in den Hintergrund rücken

    Bleibt die Frage, inwieweit wir mit unseren Ratschlägen für eine bessere Landwirtschaft eine Form des Ökokolonialismus betreiben. DITSL-Geschäftsführer Hülsebusch hat dazu eine dezidierte Meinung: „Schon wenn wir mit unseren Zielvorstellungen in die Entwicklungsländer gehen, etwa in Bezug auf Fairtrade, ohne länderspezifische Charakteristika zu berücksichtigen, ist das eine Form des Kolonialismus.“ Und auch unsere Problemlösungsstrategien seien nicht unbedingt zielführend, weil wir in den Industrieländern ganz anders sozialisiert seien. Deshalb müsse man die Erfahrungen und Erkenntnisse aus beiden Welten berücksichtigen, wenn man den Agrarsektor erfolgreich umgestalten wolle.

    Catharina Hinz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung verwies hingegen darauf, dass die von ihrer Organisation entwickelten Lösungen auf Ideen basieren, die in den afrikanischen Ländern entstanden seien. Es gebe also durchaus innovative Initiativen, die sowohl in den Entwicklungsländern, als auch in den Industriestaaten angesiedelt seien. „In den meisten Ländern, in denen wir vor Ort sind, ist das Bewusstsein vorhanden, dass es nicht so wie bisher weitergehen kann“, ergänzte GIZ-Expertin Weller-Molongua. Deshalb müsse man nicht mehr mit dem Zeigefinger auf Missstände hinweisen. Wie überall bestehe das Problem jedoch darin, dass Verhaltensänderungen ihre Zeit benötigten. Und auch wenn es zentrale Themen wie die Frage nach Bodenrechten gebe, müsse man immer individuell die unterschiedlichen Agroklimazonen im Auge behalten. 

    Catherina Hinz photo
    © Catherina Hinz, Berlin-Institut
    Leapfrogging ist kein Allheilmittel, es trägt aber viel dazu bei, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen.
    Catherina Hinz
    Berlin-Institut
    „Letztlich ist es nicht eine Frage, ob es geht, sondern ob wir alle in den Industrie- und Entwicklungsländern eine klimafreundlichere Landwirtschaft wollen“, fasste Hülsebusch die Erkenntnisse des Abends zusammen. Wohlhabende Länder seien gefordert, mehr Geld und Expertise zur Verfügung zu stellen und nicht gleichzeitig eigene Vorstellungen zu exportieren, sondern Lösungskompetenzen partnerschaftlich zu bündeln. Auch auf Verbraucherseite bedarf es eines Umdenkens. Die Verschwendung von Lebensmitteln muss gestoppt werden und wir sollten unser Konsumverhalten verändern: Weniger tierische Produkte, mehr Regionalität und Saisonalität. Das würde die Gesamteffizienz der Nahrungsmittelproduktion global erhöhen und damit beiden Zielen dienen: Ernährungssicherheit weltweit und Klimaschutz! 
    26. Oktober 2021, aktualisiert am 2. Dezember 2021